Sonntag, 11. Juni 2017

Lesezeit-Spezial mit Heidi Rehn!

Liebt Ihr Kaufhäuser so sehr wie ich?
Dann müsst Ihr unbedingt Heidi Rehns neuen Roman
 "Das Haus der schönen Dinge" lesen!
Heidi und ich haben uns virtuell im Hirschvogl,
dem Kaufhaus ihres Romans getroffen und haben ein wenig geplaudert. Das Ergebnis seht Ihr hier. Viel Spaß beim Lesen!
 
 

Foto (c) Erol Gurian


"Heidi, wie bist du darauf gekommen, einen Roman zu schreiben, in dem ein Kaufhaus eine große Rolle spielt, wenn nicht sogar DIE Rolle?"

Das "Hirschvogl" ist in der Tat die heimliche Hauptperson in meinem neuen Roman. Und deshalb trifft die Frage genau ins Herz des Ganzen. Warum ausgerechnet ein Kaufhausroman? (Ich weiß übrigens nicht, ob es das Genre überhaupt gibt. Von Anfang an hatte ich es mir angewöhnt, den Roman so zu bezeichnen, und im Verlag wurde das dann auch so übernommen.) Ein Teil der Antwort verbirgt sich schon im Titel. So ein "Haus der schönen Dinge" steckt voller Überraschungen. Da findet sich auf jeder Etage, an jedem Tresen und in jeder Vitrine etwas anderes, Unerwartetes, was Begehrlichkeiten weckt, Sehnsüchte entfacht, nach Erfüllung verlangt. Wünsche tauchen auf, von denen man vorher noch gar nichts ahnte, Träume von Dingen, besseren Zeiten, besserem Leben werden wach. Und ständig kommt wieder etwas völlig Neues dazu. Auch an Geschichten. Denn so ein Kaufhaus ist ein Treffpunkt mitten in der Stadt, an dem die unterschiedlichsten und interessantesten Menschen aus- und eingehen, und jeder Einzelne von ihnen trägt etwas von sich hinein oder nimmt wieder etwas mit sich hinaus. Und das über Jahre, Jahrzehnte betrachtet. An einem solchen Ort lässt sich also hervorragend die Geschichte einer Stadt, einer Epoche, einer Gesellschaft einfangen. Gerade die Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt mir am Herzen.  



Die heutige Baulücke am Münchner Rindermarkt -
da stand das Hirschvogl einst.

Foto: (c) Heidi Rehn

An München, an Bayern lässt sich bestens zeigen, wie aus einer relativ offenen, toleranten, kunstinteressierten, bestens etablierten Gesellschaft eine reaktionäre, hassverzerrte und von blinden Parolen verführte wird. "Mein" Hirschvogl ist zwar fiktiv, aber es orientiert sich an der realen Geschichte verschiedenster Kauf- und Warenhäuser in München und letztlich in ganz Deutschland, die zu jener Zeit von vorwiegend jüdischen Familien gegründet und betrieben wurden und diese entsetzliche Entwicklung am eigenen Leib erfahren mussten. Abseits dieser politischen und gesellschaftlichen Seite spiegelt die Geschichte des Kaufhauses auch noch wider, was sich damals wirtschaftlich getan hat, wie sich das Ein- und Verkaufen über die Jahrzehnte verändert hat. Im Laufe meiner Recherchen habe ich ganz spannende Dinge über Verkaufsmethoden – heute würde man von Marketing sprechen – gelernt, ebenso über das Verhalten der umworbenen Kunden. So war mir gar nicht bewusst, dass die heute viel gepriesene Kundenbindung in Form von kostenlosen Kundenzeitschriften, besonderen Verkaufs- und Rabattaktionen etwa für Stammkunden schon um die Jahrhundertwende gang und gäbe war. Ebenso auch das soziale Engagement der Kaufhausbesitzer. Tietz, Wertheim, Uhlfelder und wie sie alle hießen (hier haben sich übrigens gerade die jüdischen Unternehmer engagiert), war sehr daran gelegen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa im Krankheitsfall oder im Alter sozial abgesichert sind, dass ihre Familien im Todesfall versorgt werden, aber auch, dass sich die Angestellten ständig weiterbilden, insbesondere auch die Frauen, die den Großteil von ihnen darstellten. Auch das wollte ich einfangen.


Das Kaufhaus Barrasch in Breslau.
Heidi wusste sofort, so hat ihr Hirschvogl von außen ausgesehen.

Foto: (c) Heidi Rehn

Und natürlich einfach eine packende Familiengeschichte erzählen, die über drei Generationen reicht – beginnend mit Jacob und Thea und ihren ersten, kleinen Erfolgen über die glanzvollen Jahre von Lily bis hin zum erschütternden, von den Nazis erzwungenen Niedergang, für die Edna und Leopold stehen. Jedes Familienmitglied setzt auf seine ganz eigene Weise und mit seiner ganz eigenen Geschichte einen Akzent und birgt zugleich ebenfalls wieder einen wundervollen Mikrokosmos an Wünschen, Sehnsüchten, Träumen und eben auch Tragödien in sich. Das macht das Hirschvogl aus – und ich hoffe einfach sehr, dieser Funke springt auch über.


Ciné-dancing in der I'Aubette in Strassbourg,
1927 im  Stil der konkreten Kunst gestaltet.
Leopold gestaltet das Café des Hirschvogl nach
der Modernisierung in dieser Art 1930.

Foto: (c) Alexander Rehn)

Der Funke IST übergesprungen! Mich hat die Geschichte von der ersten Seite an fasziniert. Auch in meiner Stadt gibt es natürlich Kaufhäuser, die vormals in jüdischer Hand waren und die dann arisiert wurden. Wie ist es dir persönlich bei der Recherche ergangen, wenn du von den Schicksalen jüdischer Kaufmannsfamilien gelesen hast?“

Es ist immer sehr erschütternd, von den Schicksalen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erfahren, letztlich unabhängig davon, in welchem Zusammenhang, ob Kaufleute, Künstler, Handwerker, Beamte.... Man will sich das heute - zum Glück! - gar nicht mehr vorstellen, wie das damals aus dem Ruder lief.
Auf der anderen Seite erreichen uns inzwischen leider wieder täglich Informationen über Diskriminierungen, Verfolgungen, Bedrohungen von Mitbürgerinnen und Mitbürgern sogar hier bei uns, die aufgrund ihrer Religion oder ihrer Herkunft angegriffen werden. Das ist einfach unfassbar!

Was mich im Rahmen meiner Recherche für den Kaufhausroman sehr beschäftigt hat, war die Tatsache, wie oft Menschen "ihren" gewohnten jüdischen Kaufmann in der Nachbarschaft, bei dem sie täglich eingekauft haben, in Schutz genommen und sogar gegen Angriffe seitens der SA ganz vehement und entschlossen verteidigt haben. Aber trotzdem haben sie insgesamt der Politik der Nazis zugestimmt, haben die NSDAP gewählt und bei Boykottaufrufen gegen ihnen nicht persönlich bekannte Kaufleute mitgemacht. Das ist eine Haltung, die man auch heute wieder beobachten kann: Wen ich persönlich kenne, den nehme ich ganz anders war als eine abstrakte Masse, vor der mir Angst eingejagt wird, weil sie mir fremd und bedrohlich erscheint. Tun wir also etwas dafür, unsere Mitmenschen kennen- und auf diese Weise schätzen zu lernen, um Vorurteile abzubauen und Ängste aus der Welt zu schaffen!
Zugleich ist mir erschreckend klar geworden, wie selbstverständlich früher Juden und Christen bei uns mit- und nebeneinander gelebt haben, wie viele jüdische Kauf- und Warenhäuser es überhaupt gegeben hat und dass die leider alle aus unseren Städten und Straßen verschwunden sind. Das ist ein sehr, sehr schwerer Verlust. Ebenso ist es erschütternd, dass jüdische Einrichtungen in den Innenstädten heutzutage streng bewacht werden müssen. Warum ist ein friedliches Miteinander nicht mehr selbstverständlich? Warum muss jemand Angst haben, sobald klar wird, welcher Religion er sich zugehörig fühlt? Das ist beschämend und beängstigend zugleich!

Wir sind in der glücklichen Situation der Nachgeborenen, die die schlimmen Zeiten des Nationalsiozialismus nicht miterlebt haben. Wir wissen nicht, wie wir selbst reagieren würden, wenn wir in eine ähnliche Lage gerieten. Ich kann nur für uns alle hoffen, dass wir uns unsere Freiheit, unsere Toleranz und den Respekt füreinander bewahren und gegen alle Angriffe von außen entschlossen verteidigen, damit solche Zeiten nicht mehr wiederkehren.


Das Au Bon Marché in Paris,
"Mutter" aller Warenhäuser und natürlich
 DAS große Vorbild für das Hirschvogl.

Foto: (c) Alexander Rehn


Da stimme ich dir absolut zu. Mich ängstigt auch täglich immer mehr, was gerade so in der Welt passiert.

Jetzt aber zurück zu deinem Kaufhaus. Als Leserin war ich ja mittendrin im Hirschvogl. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein, zum ersten Mal solch ein Kaufhaus zu betreten! All die schönen Dinge, die es dort zu bewundern gab. Ich glaube, das Flair in so einem Kaufhaus von damals war ein ganz anderes als wir es heute antreffen. Ich musste daran denken, als ich vor vielen, vielen Jahren zum allerersten Mal im Kaufhaus des Westens in Berlin war. Da war ich auch am staunen über die Vielfalt, über die Größe. Welche Kaufhäuser hast du besucht, um das Flair genauso rüberbringen zu können, wie du es in deinem Roman geschafft hast?

Kaufhäuser haben mich schon immer magisch angezogen, weil sie eine ganz eigene Atmosphäre besitzen, gerade die richtig schön "alten" traditionsreichen wie eben das KaDeWe in Berlin. Insofern ist es für mich kaum mehr zu bestimmen, ab wann ich begonnen habe, aus "Recherchegründen" bummeln zu gehen. Sicherlich ab dem Moment, ab dem das Hirschvogl konkretere Gestalt in meinem Kopf angenommen hat und die Idee für den Roman ausgereifter war. Eine tolle Aufgabe, als aus „Recherchegründen“ stundenlang durch Kaufhäuser zu ziehen... An oberster Stelle der Liste rangieren natürlich die wunderschönen Warenhaustempel in Paris, für die ich seit der ersten Lektüre von Émile Zolas "Paradies der Damen" schwärme und womit ja eigentlich auch die ersten Funken meiner Idee gezündet haben. "Mein" Jacob absolviert seine Lehre im Au Bon Marché, dem ältesten Pariser Warenhaus, das auch Zola zum Vorbild gedient hat. Das habe ich mir letztes Jahr während des Schreibens noch einmal ganz genau angesehen, ebenso wie die etwas "jüngeren", aber nicht weniger beeindruckenden Galeries Lafayettes und das Printemps, beide natürlich auch mitten in Paris. Schon beim Eintreten taucht man in andere Welten ein, ist verzaubert von diesen unglaublichen Wohlgerüchen der Parfumabteilungen, von der pompösen Inszenierung der Waren in den grandiosen Lichthöfen mit ihren überwältigenden Glaskuppeln und schwelgt dann in den einzelnen Galerien in duftigen Stoffen, eleganten Garderoben, verrückten Schuhmodellen etc. Was für eine Pracht!

Ein wenig anders, aber nicht weniger faszinierend finde ich Harrod´s und Liberty in London, wobei das Liberty seiner doch recht bescheidenen Größe (im Vergleich zu Harrod´s vor allem!) einen ganz eigenen Charme besitzt. Und dann natürlich auch wegen der doch etwas anderen Architektur (Fachwerk), die mich immer an die Shakespeare-Stadt Stratfort-on-Avon erinnert, und natürlich wegen der berühmten Liberty-Stoffe, die man dort bis heute findet. Bei Harrod´s ist es vor allem die Lebensmittelabteilung, die mich immer wieder in Bann zieht. Was der Mensch alles essen kann! Und wie eindrucksvoll man das in den Auslagen arrangieren kann! Vom Selfridges finde ich die filmische Version weitaus schöner als die echte, was wohl daran liegt, dass in der Fernsehserie alle in der angemessenen Kleidung und Aufmachung durch die Etagen flanieren, während man heutzutage selbst in Jeans und Turnschuhen dort entlang schlendert. ;-) Das Fortnum & Mason, das tatsächlich älteste Kaufhaus Londons, kommt im Roman ebenfalls vor, aber seine bauliche Gestalt spielt weder in der Geschichte noch für meine Recherche eine wichtige Rolle. In Berlin ist es natürlich das KaDeWe, das ich immer wieder aufgesucht und mit dessen Geschichte ich mich intensiv beschäftigt habe. Das Wertheim am Potsdamer Platz wie auch das Karstadt am Hermannplatz existieren ja leider nicht mehr bzw. nur noch in einer recht abgespeckten Version (Karstadt) der einstigen Pracht. Da habe ich dann vor allem alte Fotos, Zeitungsberichte und Schilderungen studiert, um mir die Gebäude auszumalen. Material gibt es genug.

Ein weiteres wichtiges Ziel meiner Recherchereisen in Sachen Kaufhaus war Breslau. Das Kaufhaus Barrasch am Großen Ring, vis-a-vis des Rathauses, ist das architektonische Vorbild für mein Hirschvogl, zumindest was die Außengestaltung betrifft. Innen ist es komplett umgebaut. Leider habe ich keine Fotos vom früheren Zustand gefunden. Aber wozu hat man als Autorin Phantasie? Ebenso hat sich das Wertheim am früheren Tauentzienplatz (heute Ulica Świdnicka, Ecke Plac Tadeusza Kościuszki) nur noch von außen erhalten. Innen sind dort unter dem Dach des Renoma neue Geschäfte eingezogen. Von außen muss man sich das unbedingt mal ansehen Sogar die berühmten Kaufhäuser in New York habe ich im letzten Herbst besichtigt. Im Buch spielt das Macy´s eine Rolle, das als das größte Warenhaus der Welt firmierte. Seine bis heute noch erhaltenen Holzrolltreppen sind genau das, was dann eines Tages auch im Hirschvogl am Rindermarkt eingebaut wird.

Bloomingdale´s fand ich interessant, aber im Vergleich zu Paris und London enttäuschend. Saks Fith Avenue und Bergdorf Goodman dann geradezu gigantisch, weniger von der baulichen Gestaltung als vielmehr vom Warenangebot. Luxus pur! Dagegen schrumpfen „meine“ Münchner Häuser doch ganz schnell auf Zwergenformat, dabei galten das Hermann Tietz am Bahnhofsplatz (heute Karstadt) und das Oberpollinger (das inzwischen wieder so heißt, aber zu Karstadt gehört) einmal als wahre Prachtbauten. Ihre Außenfassaden sind bis heute gut erhalten, innen hat sich vieles verändert. Um mir die damalige Gestaltung auszumalen, musste ich dann schon zu alten Berichten greifen.



Die berühmten Rolltreppen im Bon Marché -
natürlich kriegt das Hirschvogl auch welche!

Foto: (c) Alexander Rehn


Seltsamerweise gibt es kaum Fotos, was ich sehr bedauere. Aber, wie gesagt, wozu hat man als Autorin Phantasie? Und mein Hirschvogl ist ohnehin ganz einzigartig. Ich hoffe sehr, Ihr spürt den alten Zauber noch, der einen ergreift, wenn man auf Jacobs Lieblingsplatz zwischen Palmen und Messingaufzügen im Lichthof am großen Springbrunnen Platz nimmt. Legt einmal so wie er den Kopf in den Nacken und schaut durch sämtliche vier Geschosse nach oben. Sehr ihr die Glaskuppel mit dem springenden Hirschen und dem Vogel auf dem Widerrist? Jean Beck (1862-1938) hat sie gestaltet. Den gab es übrigens wirklich. Es ist mein Urgroßonkel. Ob er solche Glasmosaike entworfen hat, weiß ich leider nicht, aber er hat u.a. wunderschöne Vasen, Schalen und Teller entworfen, die ganz beeindruckende Farben und sehr faszinierende Formen haben. In der Pinakothek der Moderne kann man in der Designabteilung einiges von ihm bewundern. Eine kleine Jugendstilschale besitze ich sogar selbst. Nur das Hirschvogl-Emblem leider nicht…

Dein Urgroßonkel? Das ist ja interessant! Vasen, Schalen, Teller. Jugendstil. Da muss ich direkt wieder an meine Kultur- und Literaturwoche mit Monika Fuchs denken. Wir haben doch den Hohenhof hier in Hagen besichtigt, ein Gesamtkunstwerk des Jugendstils. Henry van de Velde hat für den Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus nicht nur das Haus entworfen, sondern auch das Geschirr, die Gläser, sogar die Kleidung seiner Frau!

Ich wünschte, das Hirschvogl würde es wirklich geben! Welche Abteilung würdest du mir zuallererst zeigen wollen?


Liebe Monika, bei einem gemeinsamen Bummel durchs Hirschvogl würde ich Dir am liebsten Alles zeigen! Ein wenig kommt es natürlich auf den Termin Deines Besuchs an, weil es sich ja ständig wandelt, verändert und ein neues Kleid erhält. Der riesige Erfolg und vor allem Theas und Lilys Einfallsreichtum ist es zu verdanken, dass es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Erstes großes Highlight war natürlich die Lingerie im ersten Stock, die zur Silvesterfeier 1899/1900 eröffnet wurde. Wow, was ein Traum in Plüsch, Samt und Seide! Von den betörenden Düften, die einen dort umschwebten, ganz zu schweigen. Das "Verbotene", die Wäsche unter den vielen Lagen Stoff, die Damen damals trugen, wollte ganz besonders fein präsentiert werden. Natürlich ohne jedwede Schlüpfrigkeit, aber mit einem gehörigen Schuss Luxus und Erotik, das durfte schon sein.
Der nächste große Schritt war dann die Erweiterung auf vier Etagen, die Lily erlaubte, auch eine Leihbibliothek und einen Leseraum für Zeitungen und Zeitschriften einzurichten. Beides hatte das Oberpollinger, einer der größten Konkurrenten in der Münchner Innenstadt, zwar auch, aber das Hirschvogl hatte einfach eine weitaus fundiertere Auswahl gerade an zeitgenössischer Frauenliteratur. Dank Theas regelmäßigen Soireen besaßen sie beste Kontakte zum Münchner Verein für Fraueninteressen (der wurde 1894 gegründet und existiert nach wie vor), in dem sich die engagiertesten Frauenrechtlerinnen wie Anita Augspurg und ihre Lebensgefährtin Sophia Goudstikker sammelten, aber auch damals sehr berühmte Münchner Autorinnen wie Emma Haushofer-Merk, Elsa Bernstein, Carry Brachvogel, die heute leider weitgehend vergessen sind. Natürlich waren damit auch die Werke dieser Frauen im Hirschvogl vorrätig, ebenso lasen sie dort regelmäßig und hielten entsprechende Vorträge, worüber auch das hauseigene "Illustrierte Modeblatt", eine kostenlose Kundenzeitschrift mit großem redaktionellen Teil, berichtete.


Das KaDeWe
Fotos aus Fotobuch Berlin 2014
(c) Monika Schulte

Nach dem epochemachenden Ausbau über weitere zwei Häuser erhielt das Hirschvogl 1914 einen imposanten Lichthof über vier Etagen mit Springbrunnen, Palmen, Aufzügen und einer gigantischen Glaskuppel. Dafür hat wiederum mein Urgroßonkel Jean Beck den springenden Hirschen mit dem Vogel in ein gigantisches Glasmosaik gesetzt. Unten am Brunnen zu sitzen und den Trubel in den verschiedenen Etagen zu beobachten, wird dann eine von Jacobs Lieblingsbeschäftigungen, nachdem Lily mehr und mehr in die Führung des Kaufhauses einsteigt. Dorthin würde ich Dich in den Zwanziger Jahren sehr gern einladen, liebe Monika, und wir würden von dort aus das Treiben im Kaufhaus beobachten, am Ende vielleicht die Lebensmittelabteilung oben im vierten Stock besuchen (damals hatte man die in den meisten Warenhäusern ganz oben), um in den erlesenen Delikatessen aus aller Welt zu schwelgen, die seit der "goldenen" Zeit der 1920er Jahre wieder in Deutschland zu kaufen und zu genießen sind.
Nach dem 50jährigen Jubiläum 1930 ziehen Rolltreppen in den Lichthof des Hirschvogls ein - damals eine riesige Sensation! (Das erste Münchner Kaufhaus mit Rolltreppen war realiter das Uhlfelder ab 1931). Natürlich müssten wir uns die genau anschauen und mit diesen engen, langsamen Holztreppen eine Weile begeistert auf und ab fahren, wie es Laetitia tut. Auch dazu, liebe Monika, würde ich Dich sehr gern einladen - und anschließenden auf einen gemütlichen Kaffee (natürlich den von der equisiten Costa Rica-Mischung, die das Hirschvogl exklusiv vertreibt) im neu gestalteten Café, das Jacobs Enkelsohn Leopold ganz im strengen Bauhausstil eingerichtet hat. Dank der bodentiefen Glasfront hat man einen hervorragenden Blick auf den Rindermarkt und kann das Geschehen auf dem Platz in aller Ruhe beobachten. Ich bin sicher, das würde Dir ebenso sehr gefallen wie Jacob, Edna und mir ;-)


KaDeWe
Fotos aus Fotobuch Berlin 2014
(c) Monika Schulte

 
 
Ach Heidi, das hört sich alles so wunderbar an! Am liebsten würde ich sofort mit dir losziehen. Hast du dir eigentlich auch überlegt, wie das Hirschvogl wohl heute aussehen würde? Hätte es noch den gleichen Charme?
 
Eine sehr schöne Überlegung, von wegen, was wäre aus dem Kaufhausroman geworden, wenn es das heute geben würde. Insgesamt sind die Kaufhäuser ja vom Niedergang betroffen, die ganzen Ketten, also Hertie ist ja komplett verschwunden, hatte hier halt eben die schönen Häuser, die Karstadt übernommen hat. Karstadt kommt ja auch aus der Zeit, in der mein Hirschvogl spielt, hat in den Zwanziger Jahren hier in München Oberpollinger übernommen, was mittlerweile ein ganz edles Ding ist, ähnlich wie das KaDeWe in Berlin. Aber, wenn man da reingeht, merkt man, viel los ist da nicht. Im Sommer sind die ganzen arabischen Touristen da, aber ansonsten gehen die Münchner nicht mehr zum Oberpollinger so wie früher.
 
Die Hirschvogls hätten - wenn es nach mir ginge - natürlich ihr besonderes Kaufhaus bewahrt und hätten alles getan, damit das Kaufhaus von Münchnern für Münchner das bleibt, was es immer war, nämlich das erste Haus am Platz, in dem es ganz tolle Dinge gibt, in dem man sich berauschen lassen kann, ähnlich wie in Paris, wenn man da heute in Galeries Lafayette oder Au Bon Marche reingeht, das ist immer noch etwas Besonderes. Das hätte ich meinem Hirschvogl natürlich gewünscht, dass es nicht von Kaufhof oder Karstadt aufgekauft wird, sondern eben seinen Charme bewahrt mit dem Lichthof, mit dem besonderen Programm, dass es Lesungen gibt.
Dann hätten wir uns natürlich dort alle getroffen und hätten uns vielleicht auch beworben um den Nachfolgern der  Hirschvogls bei der Durchführung der Lesungen behilflich zu sein, bei der Auswahl der Autoren, um wunderschöne Abende zu gestalten. Klavierabende vielleicht, Ausstellungen. Ich kenne ganz tolle Maler hier in München, die natürlich gepasst  hätten, um dort ihre Bilder zu zeigen. Das würde ich  meinem Hirschvogl wünschen, dass es am  Rindermarkt weiterhin seine Besonderheit entfaltet, seinen Anziehungspunkt bildet für alle aus München, aus Nah und Fern. Auch Touristen, die sich das anschauen als besondere Attraktion . Es hätte eine wahnsinnig tolle Fressabteilung bekommen, so, wie das KaDeWe in Berlin, wo man ja wirklich ganz tolle Dinge da oben bewundern kann, oben unterm Dach im obersten Stock und dann natürlich auf dieser tollen Terrasse sitzen kann. Sowas  hätte das Hirschvogl auch verdient gehabt und von mir natürlich in jedem Fall bekommen!
Ich würde mir wünschen, dass es so ausgegangen wäre, damit es nicht so endet wie mit dem Oberpollinger hier, der mittlerweile wüst und leer ist, also zwar edle, schicke Marken verkauft, aber man hat das Gefühl, es sind mehr Verkäufer als Käufer im Haus oder wie das Karstadt, früher Hertie, Hermann Tietz am Bahnhofsplatz, das demnächst komplett umgebaut werden soll, entkernt werden soll mit einem ganz  neuen Konzept wiedereröffnet werden soll, was glaube ich, gar nichts mehr mit dem zusammen zu tun hat, was einst Hermann Tietz gewesen ist. Mein Hirschvogl hätte, wie gesagt, ein anderes Schicksal verdient.
Ich danke dir für diese wunderschöne Frage und die Gelegenheit, so viel von meinem Hirschvogl drumherum zu erzählen!


 
 
Liebe Heidi, ich habe dir zu danken! Dafür, dass du mir für die Fragen zur Verfügung gestanden hast, dass du mit mir diese kleine virtuelle Reise in dein Kaufhaus unternommen hast. Es hat mir sehr, sehr viel Spaß gemacht! DANKE!
Und Euch, liebe Leserinnen und Leser, kann ich nur wärmstens empfehlen, Euch jetzt direkt das Buch zu schnappen und anfangen zu lesen!



4 Kommentare:

  1. Hallo Monika ! Hallo Heidi !

    Auch ich habe mich gerade verführen lassen und die Fragen und Antworten sehr genossen. Ja, es war wie eine virtuelle Führung in Heidis Kaufhaus.
    Wieder mehr habe ich verspürt, dass ich dieses Buch zur Hand nehmen sollte. Ich habe momentan nur Respekt vor der Dicke des Buches. Jetzt wird Monika sicherlich sagen wollen: " Stimmt schon und wenn das Ende naht, denkst du, warum ist es denn schon zu Ende !" Da ich aber kein Buch auf dem SUB ungelesen lasse, wird es irgendwann angegangen und auf die Geschichte freue ich mich wirklich. Auch wenn ich ja eher ein Krimi/Thriller-Fan bin.

    Also euch beiden nochmals Danke für das ausführliche und interessante Interview. Viel Erfolg weiterhin Heidi Rehn und dir, Monika, immer wieder viel Freude an deinem tollen Blog.

    Liebe Grüße und einen entspannten Sonntag Abend,
    Silvia B.

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  2. Danke, liebe Silvia! Jedesmal, wenn.ich jetzt in ein Kaufhaus gehe, muss ich an die Geschichte denken. Es wird dir gefallen!

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  3. Ich danke dir für deine Einschätzung. Ich schaue ja immer gerne in deinen Blog und manchmal schreibst du deine Rezension, selbst für mich als Krimileserin so ansprechend, dass ich schon einige vorgeschlagene Bücher gekauft und gelesen habe. Ob das an meinem Alter liegt?? Manchmal brauche ich auch etwas mehr für die Seele, aber bitte nicht nur reine Liebelei. ;-)

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  4. Meine Neugier ist geweckt, definitiv.

    Alle Gute Monika und Heidi!

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