Freitag, 29. April 2016

"Pici. Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück" von Robert Scheer

Die unfassbare Geschichte einer großartigen kleinen Frau!

Die Großmutter des Autors Robert Scheer lebt in Israel. Dorthin reist er, um sie nach ihrer Kindheit und Jugendzeit in Rumänien zu befragen. Pici, die Kleine, wie sie liebevoll genannt wird, ist inzwischen 90. Ihrem Enkel Robert gegenüber lässt sie ihre furchtbare Vergangenheit noch einmal aufleben. Die ersten Seiten sind noch ganz harmlos. Elisabeth wächst wohlbehütet im Kreise ihrer Familie auf. Ihr Vater hat einen gut gehenden Holzhandel, doch die Welt befindet sich im Wandel. Die Nationalsozialisten ergreifen die Macht. Auch das Leben der Juden in Rumänien und später in Ungarn verschlechtert sich. Elisabeths (Picis) Familie muss erste Repressalien erleiden. Der Holzhandel kommt schließlich zum Erliegen. Ghettos entstehen. Die Familie wird in die Ghettos abgeschoben. Hunger, Not und Angst stehen von nun auf der Tagesordnung. Die Familie ist noch zusammen, bis die ersten Deportationen in die Konzentrationslager beginnen.

Man merkt sofort als Leser, wie es der alten Dame schwer fällt, über diese schreckliche Zeit zu sprechen. Zu groß, zu unmenschlich ist all das Leid, das sie dort ertragen musste. Menschen, wie Vieh in Züge gestopft. Kaum zu essen, nichts zu trinken, keine Luft zum Atmen. Tote werden einfach hinaus geschmissen. Schließlich im Lager immer die Angst, kommt Wasser oder kommt Gas aus der Dusche? Die Familie wird getrennt. Selektionen beginnen. Wer nicht mehr kann, kommt sofort in die Gaskammer. Verstorbene werden erst gemeldet, wenn die Brotration ausgegeben wurde. So bekam man einmalig die doppelte Ration. Pici durchläuft mehrere Konzentrationslager. Sie überlebt, doch ihre gesamte Familie wird ausgelöscht, wird ermordet.

Pici kann auch im Alter nicht vergessen, wie ihre Eltern in die Gaskammern getrieben wurden, allein, niemand, der sie an ihren Händen hielt. Wie viele Holocaust-Überlebende hadert sie mit sich und ihrem Schicksal. Wieso hat sie überlebt, aber ihre Familie nicht?

Pici berichtet über eine Artikelserie, die sie in Israel gelesen hat. Es wurde nicht nur Zyklon B-Gas nach Auschwitz geliefert, sondern auch Lachgas. SS-Offiziere hatten ihren Spaß daran, wenn die nackten Frauen und Männer hüpften, lachten, schrien, sich einkoteten und schließlich starben. Unfassbar für mich, dass es Menschen gegeben hat, die sich auf diese Art und Weise an dem Leid anderer ergötzt haben.

Pici, diese kleine Frau, die so viel Unmenschliches erleiden musste, hat das Grauen überlebt. Vergessen konnte sie diesen Albtraum jedoch nie. Sie hat eine Familie gegründet. Zu ihrem Enkel Robert hat sie eine sehr enge Bindung. Bewundernswert, wieviel Liebe diese Frau zu geben hatte, diese Frau, die so viel Unfassbares durchmachen musste. Sie ging immer weiter, hat die Hoffnung nie aufgegeben. Mit 91 Jahren starb diese großartige Frau. Sie und ihr Enkel Robert haben mit diesem Buch ein Zeitzeugnis hinterlassen, ein verstörendes, ja, aber eines, das zeigt, dass so etwas nie, nie wieder passieren darf.

Als Leser können wir nur zu einem Bruchteil erahnen, was die Menschen damals wirklich erlitten haben. Mit diesem Buch wird den Leidtragenden ein Denkmal gesetzt. Ich bewundere diese Frau, diese großartige kleine Frau, die die Hoffnung nie aufgegeben hat und die trotz aller furchtbaren Erlebnisse noch so viel Liebe geben konnte.

"Pici. Erinnerungen an die Ghettos Carei und Satu Mare und die Konzentrationslager Auschwitz, Walldorf und Ravensbrück" - auch, wenn es alles andere als leichte Kost ist, sollte dieses Buch unbedingt gelesen werden.




Taschenbuch, Paperback
228 Seiten
Verlag: Marta Press



Herzlichen Dank an Robert Scheer und
das Verlagsteam, dass ich dieses sehr aufwühlende
Buch lesen, besprechen und vorstellen durfte!

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