Mittwoch, 19. Juli 2017

"Im Lautlosen" von Melanie Metzenthin

Eine unheimlich starke Geschichte, die einen packt, die einen nicht mehr loslässt...

Wir schreiben das Jahr 1926. Richard und Paula studieren. Beide wollen den Beruf des Arztes erlernen. Die jungen Leute verlieben sich ineinander. Sie wollen heiraten und haben doch gegen Standesdünkel anzukämpfen. Richard ist schließlich "nur" der Sohn eines Tischlers. Nichts kann ihre Liebe zerstören. Sie heiraten. Sie bekommen die Zwillinge Emilia und Georg. Das Glück scheint perfekt zu sein, doch Georg ist gehörlos. Richard und Paula versuchen alles, um Georg eine ganz  normale Kindheit zu bescheren. Zusammen mit der kleinen Emilia erlernen sie die Gebärdensprache, doch dann kommen die Nazis an die Macht und ein Mensch wie der kleine Georg gilt als jemand, dessen Leben in den Augen der Nazis nichts mehr wert ist. 

Richard ist inzwischen Arzt in einer Heil- und Pflegeanstalt. Er muss Meldebögen über die Kranken ausfüllen. Er muss bescheinigen, zu viel Prozent sie arbeitsfähig sind. Schnell muss Richard feststellen, dass es sich um keine normale Datenerhebung handelt, sondern dass die Tötungsmaschinerie der Nazis bereits in vollem Gange ist. Psychisch Kranke und Behinderte sind die ersten Opfer. Richard versucht, so viele Menschen zu retten, wie nur möglich, doch sein Feind, Dr. Krüger kommt ihm auf die Schliche. Richard verliert seine Arbeit in der Klinik. Er wird eingezogen. Sein bester Freund Fritz, ein Chirurg,  kann jedoch durchsetzen, dass Richard zu ihm nach Tripolis ins dortige Hauptlazarett kommt. 

Richard im fernen Tripolis, während in Hamburg der Krieg tobt und Paula mit den Kindern ums Überleben kämpft. Überall Bombeneinschläge, überall Feuer, überall Trümmer. Dann erkrankt Georg an Diphterie und nach einer weiteren schrecklichen Bombennacht werden die Kinder im Krankhaus verlegt. Ausgerechnet dorthin, wo Dr. Krüger das Sagen hat, ein Mann, ein Nazi, der schon so viele Menschen in den Tod geschickt hat. 

"Im Lautlosen" - es ist eine Geschichte, die mich manches Mal den Atem hat anhalten lassen. Zwischendurch musste ich immer wieder eine Pause einlegen. Ich musste das Gelesene sacken lassen. Es handelt sich zwar um eine fiktive Geschichte, die jedoch tatsächliche historische Hintergründe hat. Immer wieder fragt man sich, wie konnte das geschehen? Konnte man das wirklich nicht aufhalten? Was treibt Menschen dazu zu werden, wie dieser Dr. Krüger? 

Genannte Schriften, wie die "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens" des Arztes Alfred Hoche, lassen den Leser erschauern. Unproduktive Geisteskranke, die der Gesellschaft nur Geld kosten. Unglaublich und doch so geschehen! 

Melanie Metzenthin schafft es, dass der Leser sich in diese furchtbare Zeit hineinversetzen kann. Die Kinder, die im Schrebergarten der Großeltern vor dem Bombenhagel halbwegs sicher sind und fasziniert der Flak zusehen. Die ausgebombten Straßenzüge, das ungewollte Zusammenrücken der Menschen, Ängste, Empfindlichkeiten, Hunger und Krankheiten. Alles ist so nah, so gewaltig, so realistisch, dass es manches Mal fast weh tut. 

Und doch, wie im richtigen Leben halt, auch hier und dort Lichtblicke. Hoffnung, kleine Wunder. Ich würde hier gerne mehr erzählen, doch ich würde auch viel zu viel verraten. 

"Im Lautlosen" - ein großartiger Roman über eine der schlimmsten Zeiten der Geschichte! An manchen Stellen habe ich geheult. Die Tränen liefen einfach. Meistens liefen sie jedoch vor Rührung, vor Erleichterung. 

Diesen Roman MUSS man einfach lesen. Es ist eine unheimlich starke Geschichte, die einen packt, die einen nicht mehr loslässt, die unendlich nachdenklich und traurig stimmt, die aber auch für Hoffnung und Neuanfang steht. Unbedingt lesen!




Taschenbuch
524 Seiten
Verlag: Tinte & Feder



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