Donnerstag, 27. Dezember 2018

"Marienfelde" von Corinna Mell

Eine Geschichte, ein Zeitzeugnis

Die junge Sonja muss dem Willen ihrer Eltern folgen und eine sogenannte Bräuteschule besuchen. Ein Internat, auf dem ein junges Mädchen lernt, wie man dem Ehemann den Haushalt ordentlich führt. Viel lieber würde Sonja die Handelsschule besuchen, möchte sie doch später ein eigenes Kosmetikstudio eröffnen. Sie hört auf ihre Oma, die ihr rät, erst die Bräuteschule, damit die Eltern beruhigt sind, dann die Handelsschule. Sonja fügt sich und doch kommt später alles anders als gedacht. 

Sonjas Onkel lebt in Ostberlin. Immer wieder erzählt er ihr von den Vorzügen des Sozialismus, doch als Sonja Zeugin der blutigen Niederschlagungen am 17. Juni 1953 wird, ist sie froh, wieder in den Westen zu können. Bei der Flucht zurück in den Westen, lernt sie die Krankenschwester und Hebamme Ulla kennen, die im Notaufnahmelager Marienfelde arbeitet. Sonja ist fasziniert von deren Arbeit und würde am liebsten auch dort anfangen, doch für sie hat man andere Pläne. 

Jahre später, inzwischen mit ihrem Schwarm Jürgen verheiratet, hilft sie ihrem Onkel, in den Westen zu kommen, der endlich wach geworden ist. Ein Unterfangen, das auch für Sonja und ihre Familie gefährlich werden könnte.

"Marienfelde" - eine Geschichte, ein Zeitzeugnis, das mir zeigt, dass ich sehr froh sein kann, dass ich heute über eigentlich alles frei entscheiden kann und darf. Weder Eltern noch Ehemann bestimmen über mein Leben. Damals war das nicht so. Die Frau durfte nichts ohne die Einwilligung ihrer Eltern oder ihres Ehemannes tun. 

Sehr interessant fand ich die Schilderung der Bräuteschule, auf der junge Mädchen auf ihr Leben als Ehefrau vorbereitet wurden. 

Es ist eine sehr authentische Geschichte aus der Zeit des Mauerbaus. Wer wie ich "drüben" Verwandte hatte, wird  mir zustimmen, dass es der Autorin hervorragend gelungen ist, die damalige Atmosphäre an der Grenze zu schildern. Ich kann mich noch sehr gut an die Ermahnungen und Instruktionen meiner Eltern erinnern, wenn wir wieder einmal die Verwandtschaft im Osten besucht haben. Damals habe ich mir als junges Mädchen kaum Gedanken darüber gemacht. Es war einfach so. Heute interessiere ich mich brennend für diese Zeit. 

Im Roman kommt für mich das Notaufnahmelager Marienfelde selbst viel zu kurz. Ich hatte gehofft, mehr über die Menschen, ihr Leben, ihre erste Zeit dort zu erfahren, hat mein Vater doch selbst dort einige Zeit verbracht als DDR-Exilant. "Marienfelde" ist zwar der Titel des Buches, es dreht sich dann aber doch weniger um das Lager, sondern mehr um die junge Sonja, die auf ihr weiteres Leben als Ehefrau und Mutter vorbereitet werden soll. Anfangs hatte ich beim Lesen auch eher das Gefühl, einen Jugendroman zu lesen. Das ändert sich erst im zweiten Teil. Vielleicht ist es so gewollt, da Sonja im zweiten Teil eine erwachsene Frau ist?

Normalerweise äußere ich mich nicht zum Cover. Dieses hier passt zwar in die Zeit, aber nicht wirklich zum Roman. Auch der Text auf dem Buchrücken passt nicht so wirklich. Sonja möchte zu Beginn gar nicht auf die Bräuteschule. Ehefrau und Mutter möchte sie erst viel später werden. Erst möchte sie einen Beruf erlernen, selbständig sein. Wenn man den Text weiter liest, könnte man auch glatt denken, dass Sonja eine Zeit lang in Ostberlin gelebt hat. Es war jedoch nur ein einziger Tag, an dem sie die Demonstranten unterstützt hat. 

"Marienfelde" - eine Geschichte, die nachdenklich stimmt. Eine Geschichte, die zeigt, wie gut wir es doch heute haben. Dennoch ist es auch eine unterhaltsame Geschichte, die dem Leser das damalige Lebensgefühl näher bringt. Für alle, die die Mini-Fernsehserie "Ku'damm 56" geliebt haben.




Taschenbuch
477 Seiten
Verlag: DROEMER




Herzlichen Dank an das Verlagsteam, 
dass ich diesen Roman lesen und besprechen durfte!

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